1. Etappe, von Bingen nach Rheinböllen (oder umgekehrt)
Beim Start von zu Hause, der Fahrt per Bahn nach Bingen um 8:00, hatte ich immer noch nicht herausgefunden, wo der Bus in Rheinböllen wieder zurück fahren sollte. Strecke und Höhenprofil wiesen außerdem eine stramme Gehzeit von ca. 8 h inkl. Pausen aus. In Coronazeiten kann ein verpasster Überlandbus schnell auch der Letzte sein. Bis ca. 8 Km vor Rheinböllen ging es stetig bergauf, außerdem sollte die Strecke von der Burg Klopp in Bingen bis nach Weiler und von dort an den Waldrand - insgesamt ca. 6 Km - auf Asphalt und teilweise Landstraßen verlaufen.
Also Entscheidung: genug Gründe die Strecke einfach umzukehren und von Rheinböllen entspannter nach Bingen zu laufen. Verkehrstechnisch ist Bingen für alle Pilger- und Wanderwege in der Gegend bis Koblenz ein Dreh- und Angelpunkt. Von hieraus
fährt und nach hierher
geht eigentlich alles.
Kurz vor 10:00 Uhr kam der Bus in Rheinböllen an - eine Haltestelle, die ich vermutlich zu Fuß nicht einfach gefunden hätte (… Hör' auf Dein Bauchgefühl…).
Bis zum Ohligsberg sind es ca. 6 Km bergauf. Nachdem man Dichtelbach verlassen hat, taucht man in den Wald ein, den man bis kurz vor Weiler durchqueren darf. Kurz vor dem "Gipfel" von über 600 m ü. NN trifft man auf die ersten Windräder, gigantische, lärmende Säulen, die mich immer wieder an den Roman "Tripods" von Christopher Samuel Youd erinnern. Rundherum wird die Landschaft immer mehr Wald mit Aussichtspunkten - erinnert an die Provence oder das Voralpenland. Ein kleiner Tipp: ich hatte einige Male die besten Blicke ins Tiefland, ins Rheintal oder scheinbar bis an den Westerwald, an Punkten, an denen ich mich verlaufen hatte. Dadurch kamen insgesamt fast 5 Km Umweg zustande, wie ich später gemerkt habe. Hat sich allerdings immer gelohnt
.
Die Schutzhütte auf dem Ohligsberg erreichte ich, wegen diverser Aussichts-Pausen und Umwege, erst gegen 12:15 Uhr – die Pause war dank fantastischer Aussicht dafür etwas länger.
Der weitere Weg führt über Schotterwege, durch Nadelwälder in einer Landschaft, die auch in der Provence zu finden wäre.
Meinen GPX-Track habe ich so gelegt, dass ich den Umweg über die Reste eines römischen Wirtschaftsgebäudes mit Erklärtafeln nehmen kann.
Trotz der ca. 23 °C ist es im Wald ja eher kühl. Also eine gute Idee das (Merino-) Longsleeve mitzunehmen. In unregelmäßigen Abständen stehen Bänke für eine kurze Pause, am Wegrand oder auf Lichtungen. Tolle Erfindung, diese Lichtungen ...
Den Wald verlässt man erst wieder ein paar Kilometer vor Weiler und steht dann mitten auf einer Landstraße, die auch gut befahren ist. Nicht mein Weg das ist. Am Rastplatz "Hermanns Ruh'" biege ich ab, nach Nordosten über die Felder auf gleicher Höhe bleibend zum Waldrand. Dort angekommen will ich zunächst dem Trampelpfad folgen, als ich links von mir einen breiteren Weg entdecke. Neugierig – klar - überbrücke ich die 5 Meter und stehe mitten auf einer alten Römerstraße. Der Weg wird wohl nur noch sparsam gepflegt, hier und da liegen Äste oder auch ganze Bäume auf der römischen Trasse. Ich folge dem Weg durch den Wald bis zum Belle-Kreuz. Dort erfahre ich auch, wie das Kreuz zu seinem Namen kam: Stifter war die Familie Belle aus Weiler. Der Weg verlässt hier die alte Römerstraße und führt in den Ort Weiler. Dort wirft man in die Kirche St. Maria Magdalena noch einen Blick und genießt die kirchliche Stille, bevor es aus Weiler hinaus in Richtung Bingen geht.
Das letzte Stück bis zur Altstadt von Bingen ist nochmal etwas komplex. An einer Weggabelung führt ein Weg nach links zur Landstraße (hatten wir schon, brauchen wir nicht mehr …) einer nach rechts parallel zur Höhenlinie. Geradeaus nur Gestrüpp; also nach rechts. Nach einigen Metern öffnet sich der Wald und man geht durch Weinberge. Eine super Sicht auf das im Tal gelegene Bingen … der Weg biegt nach rechts ab und mir wird klar, dass ich Bingen eigentlich fast erreicht habe, nur ca. 150 Meter zu hoch bin. Kurzer Blick auf die Karte und sofort umkehren. Aber eine schöne Sicht war's trotzdem.
An der Weggabelung fällt mir ein halb ins Gestrüpp gelehntes Schild auf und nachdem ich einen herabhängenden Zweig beiseite schiebe, erkenne ich einen Trampelpfad - mehr ist es nicht - und an dem Schild das Ausonius-Wegezeichen. Der Pfad wird im weiteren Verlauf immer enger und bleibt ca. 60 Meter über dem im Tal erkennbaren Rad-Wanderweg. Trotz allem Misstrauen endet er dann aber doch kurz vor der Drusus-Brücke auf einem asphaltierten Weg. Der Rest ist ein schneller Gang zum Hauptbahnhof um den letzten Zug nach Mainz noch zu bekommen.
Die erste Etappe des Ausoniuswegs ist ein landschaftlich schönes Stück, viel Wald, einige Windräder, aber insgesamt an Wochentagen ein einsamer Weg. Es hat Lust auf den restlichen Weg bis Trier gemacht. Der Weg kommt auf meine Liste und ist in Corona-Zeiten auf jeden Fall eine gute Möglichkeit um den Pilgertrieb zumindest etwas zu befriedigen. Also trotz Windkraftwerken eine Empfehlung von mir.
Noch ein Tipp:
Es gibt eigentlich keine Einkehrmöglichkeit auf dem Weg. Einen Wasserlauf auch nicht. Daher die dringende Empfehlung ausreichend Wasser und Verpflegung mitzunehmen - auch ein Wasserfilter nützt nix, wenn nix zum Filtern daherplätschert. Meine 2 Liter Wasser waren in Bingen leer.
Gute Wege, wünscht
Marcel